Pascha-Leben
,,Nein, Du zuerst! Du musst vorgehen!" zischt mir Christine täglich mehrfach zu, wen wir einen öffentlichen Raum betreten. ,,Achtung! Erst die Männer begrüßen!" flüstert sie und dabei geht sie immer etwas hinter mir auf die jeweiligen Gastgeber zu, wie Prinz Philipp hinter seiner Queen. Und: ,,Halt Deine Hand fest! Keine Hand geben!" raunt sie unmittelbar vor den Begrüßungen, wenn ich meine Hand wieder auszustrecken im Begriff bin, gerade und besonders herzlich bei den Frauen und Mitarbeiterinnen meiner Kollegen hier, die sich so bescheiden zurückhalten.
Christine kämpft verbissen gegen mein halbes Jahrhundert bisheriger Erziehung an. Selten habe ich in dem bisherigen Leben dies dauerhafte Gefühl entwickelt, dauerhaft Fehler zu machen, wie hier, wo ich mich wie Pascha fühlen würde. Wenn ich mich nur so fühlen könnte. Pascha passt nicht. Besser ,,Mandarin". denn wir leben derzeit im chinesischen Kulturkreis.
Dieses mein hiesiges Mandarin-Dasein hängt mit der Tradition chinesischer Rollenverteilung zusammen. Denn hier im antikommunistischen Taiwan ist die Frau erst seit 1997 ihrem Manne und dessen Restgeschlecht gleichberechtigt, Juristisch. Tatsächlich jedoch füllen die Frauen in Taiwan, der hochzivilisierten, westorientierten ,, Republic of China“, ihre weiblichen Rollen längst mit Selbstbewusstsein, Power und Kompetenz in Familie, Wirtschaft, Politik und Wissenschaft - längst vor den juristischen Urteilssprüchen. Es ist ein bisschen umgekehrt wie bei den Chinesinnen auf dem Festland, der ,,Volksrepublik China". Die haben ihre Gleichberechtigung schon seit langen Zeiten dank Mao.
Aber eben oft nur die juristische... Die Taiwanesinnen erinnern mich an die Frauen im Schweizer Kanton Appenzell, die kürzlich auf ein Wahlrecht verzichteten. Sie wollten es den von ihnen genügend beherrschten Männern als alleiniges Spielzeug überlassen.
Die Taiwanesinnen erinnern mich auch an manche Frauen mancher Männer zuhause in und um Uelzen, also echte Niedersachsen. Die verhalten sich manchmal auch noch so wie ich hier in Taiwan: Wie ein Mandarin. Und die Frauen stehen hinter ihnen. Und sagen ihnen, wo es wie langgeht.
Für Christine wird es erst schwierig, wenn wir wieder zuhause sind. Und ich mein Mandarin-Verhalten zuhause beibehalten werde. Denn schließlich muss ich rückentwickeln, was sie mir hier eintrimmt: Der Mann hat Vorrang. Absolut. Wenn auch nur nach außen. Und für mich zeitlich begrenzt.
08.August 2000